Wenn man heute ein India Pale Ale (IPA) öffnet, erwartet man spritzige Frische, fruchtige Hopfenaromen und kräftige Bittere. Doch kaum jemand ahnt, dass diese Bierlegende auf einer Mischung aus Zufall, Geschäftssinn und kolonialem Fernweh beruht.
Alles begann im 18. Jahrhundert mit der East India Company, die zwischen England und Indien Handel trieb. Die Schiffe kehrten meist halbleer in die Kolonien zurück – also nutzten die Offiziere den freien Frachtraum, um auf eigene Rechnung Bier mitzunehmen. Ideal war die Hodgson’s Bow Brewery, nur wenige Meilen vom Hauptsitz der Handelsgesellschaft entfernt. Hodgson bot den Offizieren ein verlockendes Geschäft: Sie durften das Bier erst bezahlen, wenn sie nach ihrer 18-monatigen Reise zurückkehrten. So wurde sein helles, starkes „October Beer“, ein gut gelagertes Pale Ale, bald zum Kassenschlager in Indien.
Die Legende vom „extra stark gehopften Bier für den langen Seeweg“ klingt zwar plausibel, lässt sich historisch aber kaum belegen. Wahrscheinlicher ist, dass Hodgsons Bier einfach robust genug war, um die Reise gut zu überstehen – und in der tropischen Hitze Indiens besonders erfrischend schmeckte.
Erst Jahrzehnte später kam der Name India Pale Ale auf, und die Bühne gehörte längst einer anderen Stadt: Burton-on-Trent. Dort fand man das perfekte Brauwasser – reich an Kalzium und Sulfat, ideal für helle, trockene Biere mit sauberer Bittere. Brauer wie Allsopp und Bass kopierten Hodgsons Erfolgsrezept, verbesserten es und gewannen den indischen Markt im Sturm. Um 1830 exportierten sie bereits tausende Fässer jährlich, und erstmals tauchte der Name „India Pale Ale“ in Zeitungsanzeigen auf.
Im 19. Jahrhundert schwappte der Stil über den Atlantik. In den USA entstand eine eigene, stärkere Interpretation des IPA – bis die Prohibition die Entwicklung abrupt beendete. Einzige Ausnahme war das legendäre Ballantine IPA, das über Jahrzehnte als einsames Relikt weitergebraut wurde.
Auch in England verschwand das IPA allmählich von der Bildfläche. Mild Ale und Lagerbiere dominierten, und die aufwendige Fasslagerung wurde schlicht zu teuer. Das Zeitalter des India Pale Ale schien vorbei.
Erst in den 1970ern kam die Wende: Die Anchor Brewing Company aus San Francisco brachte mit dem Liberty Ale ein Bier auf den Markt, das die alte Idee des hopfenbetonten Pale Ales wiederbelebte. Gebraut mit Cascade-Hopfen, aromatisch und fruchtig – das war die Geburtsstunde des modernen West Coast IPA.
Von dort aus eroberte der Stil die Welt zurück. Heute ist IPA nicht mehr nur ein Bierstil, sondern eine ganze Familie: vom Session IPA über Imperial IPA bis zu exotischen Varianten wie White IPA, Rye IPA oder Belgian IPA. Jede Interpretation ist eine Hommage an die große Geschichte eines Bieres, das einmal nur zufällig den Weg nach Indien nahm – und schließlich die Welt veränderte.Doch eines eint sie alle: der Geist der Entdecker, die einst Bier um die halbe Welt verschifften – und dabei einen Stil schufen, der bis heute Abenteuer im Glas verspricht.