Hinter den Kulissen der weltweiten Alkohol-Lobby: Wie die Branche Irlands Gesundheitswarnungen verzögert

Neue Dokumente enthüllen, wie internationale Alkoholkonzerne Druck auf die irische Regierung ausübten, um bahnbrechende Krebswarnungen zu verzögern.

Im Jahr 2018 verabschiedete Irland ein Gesetz, das das Land an die Spitze der globalen Gesundheitspolitik hätte bringen sollen – mit zigarettenähnlichen Krebswarnungen auf Alkoholflaschen und -dosen. Das Public Health (Alcohol) Act schreibt vor, dass auf jedem alkoholischen Getränk der Hinweis stehen muss: „Zwischen Alkohol und tödlichen Krebserkrankungen besteht ein direkter Zusammenhang.“

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit Brüssel erhielt das Vorhaben 2022 die EU-Genehmigung und sollte 2026 in Kraft treten. Doch im Juli 2025 verschob die Regierung die Einführung stillschweigend auf 2028 – ein ganzes Jahrzehnt nach der ursprünglichen Ankündigung.

Dokumente, die im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes (FOI) veröffentlicht wurden, zeigen nun, wie diese Verzögerung zustande kam: Ein gezieltes Lobbying einiger der weltweit größten Alkoholproduzenten – mit Kontakten zu irischen Ministern, EU-Handelsbeamten und sogar Beratern des Weißen Hauses. Die Unterlagen, gesammelt von The Journal Investigates in Kooperation mit De Tijd, The Investigative Desk und Follow The Money, belegen eine transatlantische Strategie zur Blockade von Irlands Gesundheitsinitiative. Die Taktik: Drohungen mit Handelsbarrieren, das Ausnutzen von EU-Bürokratie und das Heranziehen umstrittener wissenschaftlicher Studien, um die Krebsrisiken von Alkohol herunterzuspielen.

USA drängten Irland zum Rückzug

Laut internen Regierungsdokumenten nahm die Lobbyarbeit im Jahr 2025 auf beiden Seiten des Atlantiks deutlich zu. Heineken und AB InBev trafen sich mit Vertretern des US-Handelsbeauftragten (USTR) und sogar mit Beamten des Weißen Hauses. Offiziell ging es um Importzölle – doch laut einem späteren Bericht des USTR hatte die US-Regierung Irland zuvor bereits gedrängt, die Warnhinweise ganz aufzugeben. Die USA bezeichneten die Regelung als „Handelshemmnis“ und warnten, die besonderen Etikettenanforderungen könnten US-Exporte in die EU behindern.

Schon 2018 hatte Heineken in einem Brief an den damaligen Gesundheitsminister Simon Harris vor „erheblichen Reputationsschäden“ für die Marke und negativen Auswirkungen auf Investitionen in Irland gewarnt. Heineken erklärte gegenüber den Journalisten, man nehme verantwortungsvollen Alkoholkonsum „ernst“ und biete Kunden über QR-Codes „transparente Informationen zu Alkohol und Gesundheit“.

Geheimes Treffen mit dem Premierminister

Anfang 2025 trafen sich Vertreter der Alkoholindustrie siebenmal hinter verschlossenen Türen mit der irischen Regierung. Im April gelang es dem Branchenverband Drinks Ireland, ein persönliches Gespräch mit dem Taoiseach (Premierminister) zu arrangieren. Dabei betonte die Gruppe die wirtschaftlichen Belastungen durch die US-Strafzölle und forderte eine Verschiebung der Warnhinweise – unter Hinweis darauf, dass auch die US-Regierung dagegen sei.

Laut dem Büro des Taoiseach war das Treffen „eines von vielen“ mit Wirtschaftsvertretern, um über Handelsfragen zu sprechen. Das Gesundheitsministerium bestätigte lediglich, dass das Inkrafttreten der Verordnung nun auf 2028 verschoben wurde.

„Panikmache“ – Wie die Industrie Wissenschaft manipulierte

Die Branche argumentierte nicht nur mit Wirtschaft – sie versuchte auch, die wissenschaftliche Grundlage der Warnungen in Frage zu stellen. Drinks Ireland reichte bei der EU-Kommission ein Positionspapier ein, in dem die irischen Warntexte als „Panikmache“ und „Fehlinformation“ bezeichnet wurden.

Zur Untermauerung ließ die Gruppe ein Gutachten der US-Beratungsfirma Gradient erstellen – bekannt dafür, frühere Industrien (z. B. Asbest, Tabak, fossile Brennstoffe) mit ähnlichen Studien unterstützt zu haben. Deren leitende Toxikologin Dr. Julie Goodman behauptete, es gebe „keinen konsistenten Zusammenhang“ zwischen moderatem Alkoholkonsum und Krebs, abgesehen von „sehr kleinen Risiken“.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) widersprach entschieden: Alkohol – auch in geringen Mengen – verursache mehrere Krebsarten. WHO-Expertin Dr. Carina Ferreira-Borges nannte Goodmans Bericht „äußerst irreführend“. Ein Drittel aller alkoholbedingten Brustkrebsfälle trete bei Frauen auf, die höchstens zwei kleine Gläser Wein pro Tag trinken.

Der niederländische Gesundheitsexperte Dr. Luc Hagenaars erklärte, solche Strategien seien typisch: „Wir kennen diese Taktik von der Tabak- und Ölindustrie – Wissenschaft wird gezielt in Zweifel gezogen.“

EU zieht sich zurück – Warnungen auf Eis

Die Lobbyarbeit zeigte Wirkung: Im Juli 2025 bestätigte Irland die Verschiebung der Warnungen auf 2028 – offiziell wegen „Handelsspannungen“.

Für die Industrie ein Sieg, für Gesundheitsexperten ein Rückschlag, denn obwohl Alkohol tief in der irischen Kultur verwurzelt ist, sind seine Folgen gravierend: Laut Schätzungen der Global Burden of Disease waren 2019 rund 1.543 Todesfälle in Irland auf Alkohol zurückzuführen. Die WHO stellt klar: Es gibt keine sichere Menge an Alkoholkonsum in Bezug auf Krebs. „Wir befürchten, dass diese Verzögerung das gesamte Projekt zum Scheitern bringt“, sagte Sheila Gilheany, Direktorin von Alcohol Action Ireland. Ein EU-weites Etikett sei „in weiter Ferne“, und falls es eines gebe, wäre es „verwässert und zahnlos“.

Tatsächlich hatte das EU-Parlament ursprünglich ein Werbe- und Sponsoringverbot sowie verpflichtende Warnungen gefordert – nach massivem Lobbying blieben davon nur vage Absichtsbekundungen übrig. Die EU-Kommission setzt nun auf QR-Codes, die Verbraucher mit dem Smartphone scannen sollen – doch Studien zeigen, dass nur 0,26 % der Käufer sie tatsächlich nutzen. „Zu glauben, dass Menschen im Supermarkt Etiketten scannen, ist unrealistisch“, so Ferreira-Borges.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.